Wenn der liebe lange Tag zu einem schrecklich lagen Tag wird: Mit diesem Leid haben nicht nur viele allein lebende Senioren zu kämpfen, die keine oder nur wenig Ansprache und Zuwendung erhalten. Es betrifft ebenso viele Ältere, die in Einrichtungen leben, die aber trotz dieser Wohnform nicht in dem für sie individuell erforderlichen Maße betreut und aktiviert werden können.
Langzeit-Studien aus England haben jedoch auf erschreckende Weise belegt, dass Einsamkeit und Isolation im Alter die Lebenserwartung deutlich verkürzen. Auch mangelnde körperliche und geistige Aktivität machen auf Dauer depressiv, krank und manchmal sogar „des Lebens müde“. Und davor sind nicht einmal Heimbewohner gefeit.
Seit einiger Zeit besuche ich regelmäßig eine hochbetagte Dame, die nach mehreren Schlaganfällen an den Rollstuhl gefesselt ist und deshalb in einer Einrichtung lebt. Wenn wir zusammen unterwegs sind, plaudern wir nicht nur munter über vergangene Zeiten, sondern erfreuen uns beispielsweise auch an den permanenten Veränderungen in der Natur im Wechsel der Jahreszeiten. So ist nicht nur ständig etwas Neues zu entdecken, sondern der jeweilige Moment wird uns in seiner Besonderheit und Vergänglichkeit auch immer sehr deutlich bewusst.
Es sind schöne und erfüllte Stunden, denn auf diese Weise können wir jeden Spaziergang als einzigartig zelebrieren und erleben, bevor es zurück in den „heimischen Alltag“ geht. Doch genau damit hat die liebenswürdige Dame stets ihre allergrößten Probleme. Denn hier ist sie – bei allem redlichen Bemühen des Personals – wieder allein auf sich gestellt. „Dann sitze ich hier und warte, aber es kommt ja keiner“, sagte sie kürzlich mit tief bewegter Stimme zu mir.
So kommt es, dass wir die gemeinsame Zeit bei nahezu jedem Wind und Wetter draußen verbringen, um möglichst viel Abwechslung zu bekommen und die Heimatmosphäre hinter uns zu lassen. Trotzdem wird die zwangsläufige Rückkehr für Frau I. immer wieder zu einer großen emotionalen Belastungsprobe. „Die Zeit vergeht so schnell, aber die Tage vergehen gar nicht“, waren neulich ihre eigenen Worte.
Auch, wenn keine durchgängige Einzelbetreuung von Frau I. auf die Beine gestellt werden kann: Unter Hinzunahme der Senioren-Assistenz ist es der Familie zumindest gelungen, dass sie nun fast täglich Besuch hat und dadurch für rege Abwechslung und Aktivität gesorgt ist. Sogar Frau I. spürt inzwischen diese positive Veränderung und flüsterte mir kürzlich zu meiner großen Freude zu: „Ich glaube, wir beide sind ein gutes Paar. Das funktioniert und gefällt mir, wir sollten damit weitermachen.“