Seit langer Zeit betreue ich einen herzensguten und meist sehr froh gestimmten Herrn mit fortgeschrittener Alzheimer-Demenz. Die Begegnung mit ihm bekannten Menschen bereitet ihm stets allergrößte Freude. Ob unterwegs auf der Straße, auf dem Flur oder in den Gemeinschaftsräumen seiner Einrichtung: Sobald ein bekanntes Gesicht auftaucht, lebt er auf, geht auf die Person zu und beginnt – so gut es geht – ein kleines Schwätzchen.
Hin und wieder kann er auch bekannte Gesichter auf großen Plakaten erkennen, wenn wir an Litfaßsäulen oder Aushängen vorbeikommen. Er zeigt dann auf sie, und wenn ich ihm den Namen nenne, freut er sich über die Bestätigung. Immer weniger erkennt er allerdings auf Familienfotos, nicht einmal sich selbst, wie z. B. auf dem großen Foto auf seiner Zimmertür.
Als das Hamburg Museum mit einem markanten Porträt des Schriftstellers Siegfried Lenz eine Ausstellung unter dem Titel „Hamburg ins Gesicht geschaut“ plakatierte, war sofort seine Neugier geweckt. Der Besuch der Gemäldeschau erwies sich jedoch als nur sehr mäßig anregend, denn die Bilder hingen häufig sehr hoch (also nicht auf Augenhöhe) oder blendeten durch ihre Verglasung. Viele dieser Gesichter waren für ihn also gar nicht wahrnehmbar.
Nun: Fotos, Gemälde und Plakate sprechen natürlich nicht mit ihm, es fehlt also oft der entscheidende Impuls, um ohne entsprechende Unterstützung Gedanken, Erinnerungen oder Assoziationen freizusetzen. Doch was ist, wenn wir uns mitten unter bekannte Persönlichkeiten mischen? Macht es einen Unterschied, wenn er den Menschen figürlich, also dreidimensional begegnet?
So entstand die Idee, mit ihm einmal ganz gezielt ins Panoptikum zu gehen. „Lass uns heute mal ein paar alte Bekannte besuchen“, leitete ich den spannenden Ausflug ein. Und siehe da: Kaum hatten wir die Ausstellung betreten, war sofort wieder dieses freudige Strahlen in seinem Gesicht. Vor den Figuren von Udo Lindenberg und „Otto“ schwelgte er auf seine Weise in fröhlichen Erinnerungen, und selbst die historischen Persönlichkeiten lockten viele zutreffende Bemerkungen aus ihm hervor. Was er zur zierlichen Figur von Königin Elisabeth II. sagte, soll hier aber lieber nicht erwähnt werden.
Es war in jeder Hinsicht ein ganz besonderes Erlebnis, das noch auf der Rückfahrt für viel Gesprächsstoff sorgte. Und es machte klar, was den alles entscheidenden Unterschied ausmacht, um nachhaltige Emotionen zu wecken.