Handarbeitskunst

Die Vorweihnachtszeit ist traditionell auch jene Zeit, um Dekorationen, Tannenbaumschmuck oder kleine Geschenke zu basteln. Die folgende Begebenheit schildert eine völlig andere Form „feinster Handarbeit“, die sich völlig unerwartet während eines Adventskonzertes entwickelte. Und das kam so:

Auf dem Kultur-Programm für die Bewohner einer Einrichtung war in der Adventszeit ein besonderes Konzert angekündigt: Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach. Der besondere Clou: Zwischen den verschiedenen musikalischen Sätzen sollten Passagen aus der Weihnachtsgeschichte eingespielt werden, gelesen von dem großen Schauspieler Will Quadflieg. In dieser eigenwilligen Kombination eine echte Welturaufführung, wie der Organisator dem neugierigen Publikum später versicherte.

Eine von mir betreute ältere Dame freute sich schon im Vorfeld riesig auf dieses Ereignis, denn sie liebt klassische Musik über alles. Ich sollte und wollte unbedingt sicherstellen, dass sie an dieser Darbietung teilnehmen konnte. Es war vorgesehen, sie dorthin zu begleiten und später durch Betreuer der Einrichtung wieder in ihre Wohnung zurückbringen zu lassen.

Obwohl ich sehr frühzeitig bei der Dame eintraf, kamen wir durch allerlei Vorbereitungen erst knapp vor Veranstaltungsbeginn in dem kleinen Saal an. Wir bewegten uns flink durch einen kleinen Gang, ich half ihr dabei, Platz zu nehmen. Als ich mich sodann leise verabschieden wollte, bedrängte sie mich, mich doch bitte an ihre Seite zu setzen und dem Konzert ebenfalls beizuwohnen. Ich gab ihrer innigen Bitte schließlich nach.

Je weiter das Konzert fortschritt, desto mehr bewegte sie ihren Kopf im Takt der Musik. Auch ihre Hände machten muntere Bewegungen, als würde sie selbst das Orchester und den Chor dirigieren. Dazu schloss sie die Augen und war tief versunken in dem musikalischen Rausch. Es war eine Freude, sie dabei zu beobachten.

In einer der kurzen Lese- und Besinnungspausen reichte ich meine Hand zu ihr herüber, die sie sofort ergriff und bis zum Ende des Konzertes nicht mehr losließ. Sie drückte und betastete jeden einzelnen Finger, als hätte sie unverhofft eine Kostbarkeit zu fassen. Es war ein ganz besonderer Moment, denn es drängte sich mir der Gedanke auf, dass ihr vermutlich schon lange niemand mehr so lange die Hand gehalten hatte.

Erst zum Beifall am Ende der Veranstaltung ließ sie schließlich meine Hand wieder frei, doch ich bin bis heute von dieser Begebenheit – im wahrsten Sinne des Wortes – tief ergriffen.