Der Altweibersommer ist vorbei und es beginnt die nass-kalte Indoor-Zeit für die Seniorenbetreuung. Herr L. mag keine Kartenspiele, hat unerklärliche Blackouts bei dem wunderbaren Spiel „Stadt-Land-Fluss“ und langweilt sich zu Tode beim „Mensch-Ärger-Dich –Nicht“ oder sonstigen Würfelspielen. Stattdessen steigert er sich zu absoluten Höchstleistungen beim Monopolispielen, wo er den gnadenlosen Kapitalisten gibt oder aber beim Scrabblen, das ihn zu einem gewieften Taktierer und einem phantasievollen Worteerfinder werden lässt!
Während ich (typisch Frau) sozialdenkend darauf bedacht bin, das Spiel im Fluss zu halten, möglichst so anzulegen, dass es für den anderen mehrere Möglichkeiten zum Weiterspielen bringt, spielt
Herr L. (typisch Mann) egoistisch, nur auf den eigenen Vorteil bedacht, was beim Scrabble soviel bedeutet, wie das kurze Wort Sex mit dem Buchstaben X (8 Punkte) auf das rote Feld (dreifacher
Wortwert) zu legen, während ich mich damit abmühe, schöne und inhaltsreiche Worte, wie Bleioxyd, explosiv, komplex, Kruzifix oder Saxophon zu legen.
Wir haben eigene Regeln in den letzten Wintermonaten für das Scrabblespielen erfunden. Abkürzungen und Eigennamen sind nur erlaubt, wenn der andere sie anerkennt. Konjungierte Verben, auch der
Imperativ, die Befehlsform, sind erlaubt. Man findet dann so schöne Aufforderungen wie „spring“ oder „guck“ oder „lauf“ auf dem Spielfeld. Es ist außer Frage, dass ich (typisch Frau) in der Regel
mehr anerkenne als Herr L. (typisch Mann). Autokennzeichen stellen bei uns eine absolute Grauzone dar. Es gibt eine von mir ausgedruckte Tabelle mit allen deutschen Kennzeichen, die aber nur im
allerhöchsten Notfall zu Rate gezogen werden darf.
Das Schönste am Scrabblespielen ist das Worteverlängern. Auch hier gilt die Regel, der andere muss die Neuschöpfung anerkennen. So wird dann aus dem Schaffner der Zug- oder Omnibusschaffner und
aus der Latte die Zaunlatte oder aus der Kuh die Milchkuh.
Eine andere Regel besagt, das zweifelhafte Wortneuschöpfungen, die von dem anderen in Gefahr sind, nicht anerkannt zu werden, dem Mitspieler so überzeugend erklärt werden müssen, dass man ihn
endlich zur Zustimmung bringt. So geschah es mit der Gans aus der Herr L. frohen Mutes eine „Russengans“ machte. Auf meinen fragenden, Blick, mit gerunzelter Stirn, erklärte er mir ohne
Umschweife, dass es ja auch polnische Gänse gäbe, und diese Gans wäre nun einmal in Russland gemästet worden, wofür sie schließlich auch nichts kann, bevor sie am 11.11., dem Martinstag, in einem
deutschen Bratofen landen würde. Ich war erstaunt über soviel Phantasie und nickte apathisch. Jetzt hatte ich etwas bei ihm gut. Aber sämtliche Versuche meinerseits aus der Russengans einen
Russengansbräter oder Russengansfahrer oder ein Russengansrezept zu machen, wurden von Herrn L. (typisch Mann) gnadenlos abgeschmettert.
Langsam wurde ich sauer. Das Spiel näherte sich dem Ende und durch eine glücklich Wendung war ich sogar noch in der Lage das komplizierte Ö mit dem X zum Phönix zu verknüpfen, wäre ja auch das
andere Wort mit P (wie Pimmel, umgangssprachlich für das männliche Geschlecht) möglich gewesen. Aber, da Herr L. sehr schwerhörig ist, trotz der beiden Hörgeräte, wollte ich nun Pi .... nicht so
laut durch das Foyer der Seniorenresidenz brüllen und entschied mich „taktisch“ für Phönix! Herr L. verlor dadurch die Partie ziemlich eindeutig, was auch am X von Phönix lag.
Als wir im Fahrstuhl alleine waren, stampfte er wütend mit dem Fuß auf, der Rollator vibrierte und er rief laut: „Ich hätte ein ganz unanständiges Wort legen können, aber mit Rücksicht auf Dich
und besonders auf Dich, als Frau, habe ich das extra nicht gemacht. Dann hätte ich bestimmt gewonnen.“
Er schnaubte immer noch vor Enttäuschung. Ich musste laut lachen. Ich fragte ihn: „Welches Wort hättest Du denn legen können?“ Na Möse, was denn sonst! Das hätte mit dem Ö eine Menge Punkte
gebracht. Ja, und ich hätte Pimmel legen können und habe es mit Rücksicht auf Dich extra nicht gemacht. Was sagst Du nun? Jetzt grinsten wir beide, als der Fahrstuhl oben ankam, und beschlossen
das nächste Mal eine Partie zu spielen, die nur aus unanständigen Wörtern besteht! Jawohl!
Gastbeitrag von:
Dr. Uta Schnell
Kunsthistorikerin, Seniorenassistentin
Berlin (Bezirk Steglitz-Zehlendorf)
www.seniorenassistenz-schnell.de